
Miroslav Kadlec, kommt Tschechien jetzt ins Finale?
Das weiß ich nicht. Ist der Gedanke nach einem 1:4 nicht etwas absurd?
In die EM 1996 startete Tschechien auch mit einer Auftaktniederlage. Danach folgte der Durchmarsch nach Wembley, von Ihnen als Libero angeführt.
Ach, es wäre schön, aber die Chancen sind nicht gerade rosig. Wir wurden von den Russen zertrümmert. Das war hart. Hoffentlich lernt die Mannschaft aus den Fehlern der ersten Partie, hoffentlich stellt sie diese Fehler ab. Falls nicht, fahren wir früh nach Hause. Einfache Mathematik.
War Russland so stark oder Tschechien so schwach?
Wir sind gut gestartet und haben die Anfangsphase dominiert, zur Überraschung vieler. Irgendwann hat das Team allerdings den Faden verloren. Noch dazu haben sich die Russen taktisch meisterlich verhalten, clever verteidigt und schnell wie ein Rennwagen gekontert. Das Tor zum 2:0 war Gift für unsere junge Mannschaft, danach war es chaotisch. Das Zentrum stand offen.
Die tschechischen Medien nehmen Trainer Michal Bilek ins Visier. Sie werfen ihm taktische Fehler vor und fordern eine andere Aufstellung.
Unsere Presse kennt kein Mittelmaß. Nach einem Sieg entfacht sie riesige Euphorie, nach einer Niederlage liegt ihr zufolge das ganze Land am Boden. Dem Nationalteam hilft die übertriebene Erwartungshaltung, die sich natürlich auf die Öffentlichkeit überträgt, nicht weiter.
Bilek trifft also keine Schuld?
Bilek hat den Nachteil, dass er zwangsläufig an Karel Brückner gemessen wird, dem Trainer bei den großen Turnieren der Nuller Jahre. Brückner galt als Instanz, als Fuchs mit einem taktischen Wissen, das seinesgleichen suchte. Bilek kämpft – gegen die Medien, gegen die Nachwehen der holprigen Qualifikation. Aber ihm steht eben auch keine Goldene Generation zur Verfügung.
Sie meinen Ihre 96er-Kollegen um Karel Poborský, Patrick Berger, Vladimír Šmicer und Pavel Nedvěd.
Unser kleines Land zählt nur knapp zehn Millionen Einwohner. Da ist es schon fast ein Wunder, wenn sich in einer Generation so viele Ausnahmefußballer tummeln. Wir wussten, dass wir den Ball nur nach vorne schicken mussten. Nedvěd und Šmicer würden den Rest schon besorgen. Selbst bei der EM 2004 reichte noch eine tschechische B‑Elf im letzten Gruppenspiel, um Deutschland rauszukegeln.
Warum bleibt die Talentschwemme mittlerweile aus?
Es fehlt an der Infrastruktur. Die Vereine investieren weniger Geld in den Nachwuchs als vor zehn Jahren, deshalb schaffen nur wenige Talente den Durchbruch. Wenn ein tschechischer Erstligist früher zum Sichtungstermin lud, drängelten sich 250 Kinder und Jugendliche auf dem Rasen. Heute kommen vielleicht noch 30.
Heißt: Ihr Sohn Michal Kadlec, Linksverteidiger im Narodni Tym, wird wahrscheinlich kein EM-Finale spielen. Darf er sich trotzdem über tägliche Telefonate mit väterlichem Ratschlag freuen?
Nein, Nein, so oft nerve ich Michal doch gar nicht! Wir haben seit dem Turnierstart erst zweimal telefoniert. Erstens schottet sich das Nationalteam ab, zweitens benötigt Michal gar keinen Rat von mir. Er ist erfahren genug, hat mehr als 30 Länderspiele. Er kann sich gut einschätzen und weiß genau, wenn er mal nicht so gut gespielt hat. Nach dem ersten Spiel durfte keiner zufrieden sein. Er auch nicht.
Im zweiten Spiel warten die Griechen, die mit dem Remis gegen Polen überrascht haben. Einmal mehr sieht sich Tschechien geballter Erfahrung gegenüber. Karagounis, Katsouranis und Gekas können wehtun.
Die Griechen treten diszipliniert auf. Sie wissen, wie man ein Ergebnis verwaltet. Sollten sie in Führung gehen, wird es ganz schwer. Aber glauben Sie mir, ich habe keine Lust auf ein völlig bedeutungsloses Freundschaftsspiel gegen Polen am Ende. Ich tippe 2:1 für Tschechien.
Vielleicht kommt Tschechien der Außenseiterstatus zupass. 1996 rechnete auch niemand mit Ihrer Mannschaft, der Traum zerplatzte erst im Finale an Oliver Bierhoff.
Ja, vielleicht. Aber die Aussichtslosigkeit unserer Situation schien damals unweit größer, weil wir in die Todesgruppe mit den Schwergewichten Russland, Deutschland und Italien gelost wurden. Wir konnten gar nicht enttäuschen. Erst mit fortlaufender Turnierdauer stieg der Anspruch im Team. Wir haben gemerkt: Hier geht was! Bierhoffs Golden Goal schmerzte ganz besonders, weil die Regel neu war. Wir hätten gut und gerne darauf verzichten können, von diesem historischen Moment in der 95. Momente erwischt zu werden.
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