
Bescheidenheit zählt nicht unbedingt zu den Grundeigenschaften von César Farías. Als er Anfang 2008 die Nachfolge von Richard Páez als Nationaltrainer Venezuelas antrat, kündigte er markig an: „Die Geschichte wird Páez und mir eines Tages dankbar sein.“ Ein Satz, der auch von José Mourinho hätte stammen können.
Seinen großen Worten ließ Farías in den darauffolgenden Jahren allerdings auch Taten folgen. Die einstmals graue Maus des südamerikanischen Fußballs hat sich unter der Ägide seines selbstbewussten Coaches zu einer wettbewerbsfähigen Truppe gemausert.
Dabei ist es erst knapp ein Jahr her, als Farías noch beißenden Spott über seine Elf ertragen musste. Ob es seine Spieler nicht lieber mit Baseball versuchen sollten, wurde er im Vorfeld der Copa América in Anspielung auf Venezuelas Nationalsport gefragt. „Sie haben über uns gelacht, als wir Richtung Argentinien aufgebrochen sind“, erinnert sich Farías. Doch vielen Favoriten sollte der Spaß schnell vergehen.
Venezuela ist wieder wer
Während sich Argentinien, Brasilien und Chile bereits im Viertelfinale verabschiedeten, führte Farías den krassen Außenseiter Venezuela sensationell bis ins Halbfinale. Bei den 14 vorherigen Teilnahmen an der Südamerikameisterschaft war dem Karibikstaat nie ein derart erfolgreiches Abschneiden gelungen.
Um ein Haar wäre ihm gar der Sprung ins Finale gelungen. Doch im Elfmeterschießen hatte Paraguay das Glück auf seiner Seite. Auch die deutliche 1:4‑Niederlage im Spiel um Platz drei gegen Peru konnte letztlich die Freude über den Coup auf großer Bühne nicht trüben. Erstmals in seiner Geschichte hatte Venezuela auf dem Fußballplatz ein Ausrufezeichen gesetzt. Und Farías posaunte: „Wir schreien nach ganz Südamerika hinaus, dass wir Respekt wollen.“
Erneut kommt einem Mourinho in den Sinn. Tatsächlich haben der Trainer von Real Madrid und Farías mehr gemein als ihr Hang zu vollmundigen Sprüchen und einer Vorliebe für elegante Kleidung an der Seitenlinie. Nicht umsonst wurde Farías von der Presse auch schon „Tropen-Mourinho“ getauft. Ein Vergleich, der auch Tomás Rincon vom Hamburger SV schon zu Ohren gekommen ist.
HSV-Mann Tomás Rincón: „Er ist Mourinho ähnlich“
Angesprochen auf die Parallelen zu „The Special One“ muss der 47-fache Auswahlspieler Venezuelas schmunzeln. „Viele Leute sagen das. Farías hat einen besonderen Charakter, der dem von Mourinho ein bisschen ähnlich ist“, urteilt Rincón.
Ähnlich wie Mourinho wurde auch der heute 40 Jahre alte Venezolaner mit eher bescheidenem fußballerischen Talent gesegnet. Als kleiner Junge bolzte er mit großem Eifer auf dem Pausenhof seiner Schule in Venezuelas Hauptstadt Caracas, und brachte es hinterher immerhin mit viel Ehrgeiz zu einigen Einsätzen in der ersten Liga seines Heimatlandes. Zu einer erfolgreichen Karriere in kurzen Hosen reichte es aber nicht.
Hinzu kam, dass Farías sich schon in jungen Jahren mit Dingen beschäftigte, über die sich die Mehrzahl seiner Mannschaftskameraden kaum Gedanken machten. Die fehlenden Strukturen im venezolanischen Fußball sowie die mangelnden Mittel wie beispielsweise genügend Bälle oder Trikots ärgerten ihn maßlos. Eines Tages entschied er nach einer Trainingseinheit, seine Laufbahn als Spieler zu beenden und sich fortan dem Trainerjob zu widmen.
Mit einem klaren Ziel vor Augen machte er sich daran, den Mentalitätswechsel im venezolanischen Fußball einzuläuten. „Ich habe gesehen, wie viel Talent aufgrund mangelnder Organisation vergeudet wurde“, sagt Farías rückblickend.
Zielorientiert bereitete er seinen Aufstieg vor. Bei seiner ersten Trainerstation führte er Zweitligist Nueva Cádiz 1993 auf Anhieb zum Titel. Es folgten Gastspiele bei Trujillanos, Deportivo Táchira und Mineros de Guayana, ehe er 2007 mit Deportivo Anzoátegui Vizemeister in der ersten Liga wurde.
Mittlerweile war auch der Verband auf den ehrgeizigen Emporkömmling aufmerksam geworden und berief ihn schließlich zum Nationaltrainer. Farías war am Ziel.
Arbeit an der Basis
Akribisch machte er sich daran, die Basis zu verändern. Den Klubs der ersten und zweiten Liga verordnete er, künftig mehr in die Jugendarbeit zu investieren. Auch achtete er darauf, dass sich das Profil der venezolanischen Kicker änderte. Früher zeichneten diese sich zwar durch gute Technik aus, waren körperlich aber eher schmächtig. „Die Starken spielten Baseball und die Großgewachsenen Basketball“, erklärt Farías.
Ordnung und Fortschritt. Der Erfolg unter Farías ist kein Zufall, sondern das Ergebnis eines langfristig angelegten Strukturwandels, der nun langsam Früchte trägt. Zwar betont Farías, dass man nach wie vor ab und an mit einer herben Klatsche rechnen müsse. Die Zeiten, als diese normal waren, gehören allerdings der Vergangenheit an. „Heute können wir mithalten“, sagt Farías und fügt hinzu: „Wie die Zukunft aussieht, weiß ich nicht. Aber wir haben versucht, wichtige Dinge zu säen.“
Die aktuelle Spielergeneration ist in den Topligen angekommen
Die aktuelle Spielergeneration bezeichnet Farías als die beste, die es im venezolanischen Fußball je gegeben hat. Spieler wie Juan Arango (Borussia Mönchengladbach), Fernando Amorebieta (Athletico Bilbao), oder Salomón Rondón (Rubin Kazan) haben sich in Europas Top-Ligen behauptet. Ebenso Tomás Rincón, auch wenn dieser derzeit beim HSV einen schweren Stand hat. In der Nationalelf ist er dagegen gesetzt.
Rincón hat die Amtszeit von Farías von Beginn an miterlebt. „Er ist ein absoluter Gewinnertyp. Als er gekommen ist, hat er viele junge Spieler wie mich aufgestellt und uns viel Vertrauen gegeben“, sagt er. Besonders beeindruckt ist der 25 Jahre alte Mittelfeldkämpfer von der Akribie seines Nationaltrainers: „Farías ist ein harter Hund. Er will jede Sache kontrollieren und jedes Spiel unbedingt gewinnen. Dafür gibt er alles. Diese Einstellung gefällt mir. Er lebt sie vor und die Spieler leben sie nach.“
Rincón betont, dass sich die Mannschaft in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt und gute Ergebnisse erzielt hat. „Heute merkt man den gewachsenen Respekt in den Spielen. Es ist nicht mehr wie vorher, als die Gegner dachten: ‚Wir haben schon drei Punkte gewonnen’“, sagt Rincón. Neben den Aussagen vor den Spielen äußere sich der gewachsene Respekt auch in der Spielweise. „Wir sind nicht einfach zu schlagen und das wissen die Gegner“, so Rincón.
Die Copa América als Initialzündung
Die gute Copa América scheint eine Art Initialzündung gewesen zu sein. Das Beste soll nun jedoch erst noch folgen. Unter der Regie von Farías ging es stetig bergauf. Zunächst schaffte es die U20 als erstes Fußball-Auswahlteam Venezuelas überhaupt, sich 2009 für eine WM-Endrunde zu qualifizieren. Die A‑Nationalelf verpasste kurz darauf den Sprung zu den Titelkämpfen 2010 in Südafrika nur knapp. Am Ende fehlten zwei Punkte. Jetzt soll es endlich klappen. Derzeit liegt Venezuela auf Rang vier der Südamerika-Gruppe und hält stramm Kurs auf die WM 2014 im Nachbarland Brasilien.
Am 22. März geht es weiter. Dann heißt der Gegner Argentinien. Im Hinspiel feierte Venezuela beim 1:0 den ersten Sieg überhaupt in einem WM-Qualifikationsspiel gegen den zweifachen Weltmeister. Nun will die „Vinotinto“, wie die Selección Venezuelas aufgrund ihrer weinroten Shirts genannt wird, in Buenos Aires ein weiteres Kapitel ihrer Erfolgsgeschichte schreiben. Denn ob gegen Messi oder andere Weltstars: Angst hat das einstige Aschenputtel vor keinem Gegner mehr. Farías stellt klar: „Uns ist es egal, wie der Rivale heißt. Wir haben ein erfolgshungriges Team mit Charakter. Wir wollen immer mehr!“
Die Zeit der falschen Bescheidenheit ist vorbei. Auch Rincón gibt offen das Ziel Brasilien 2014 aus. „Wir haben die große Chance, uns für die WM zu qualifizieren“, sagt der Budesligalegionär. Von sieben noch ausstehenden Spielen habe man noch vier zuhause. „Diese Spiele müssen wir gewinnen, dann haben wir eine Chance“, sagt Rincón.
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